Das Forschungsinstitut für das Recht der elektronischen Massenmedien (REM) hat mich eingeladen, beim 20. Rundfunkforum über die Bedeutung von Informationsfreiheit im Journalismus zu sprechen. Das ist mein Vortrag:
Ich habe mich im Vorfeld der Veranstaltung gefragt, was ich, der Journalist ohne formellen Studienabschluss, mit ein paar Semestern Theater-, Film- und Medienwissenschaften, einem juristischen Fachpublikum mit vielen Jahrzehnten an Erfahrung, berichten kann. Also dachte ich, ich spreche über etwas, bei dem ich meine, mehr Expertise zu besitzen als Sie – Nämlich: Zombiefilme.
„Dawn of the Dead“ ist der Klassiker des Genres. 1978 wurden von George Romero auf der Leinwand die Toten wieder zum Leben erweckt. Die USA hatten da schon seit mehr als einem Jahrzehnt den „Freedom of Information Act“, ein weltweit wegweisendes Gesetz, das kein Präsident je wollte. 1967 von Lyndon B. Johnson in Kraft gesetzt, machte er schon bei der Unterzeichnung klar, dass er keine große Freude mit mehr Transparenz habe. Wenig überraschend, war das Gesetz recht zahnlos.
Als wenig später sein Nachfolger Richard Nixon über die Watergate-Affäre stolpert, wird der Druck auf mehr Transparenz deutlich größer, weil Nixon sich lange weigert, Dokumente des Weißen Hauses weiterzugeben. 1974 wird der „Freedom of Information Act” deutlich verschärft, das tote Recht wird zum Leben erweckt, sie sehen: Der Zombie Vergleich, er wird zu Tode geritten. Gerald Ford legt dieses Mal sogar ganz offiziell ein Veto gegen das Gesetz ein, wird aber am Ende vom Kongress überstimmt. Seither haben die USA, ein zwar recht komplexes, aber am Ende sehr kraftvolles Transparenzgesetz, dass viele Staaten weltweit inspirieren sollte.
Schweden first
Doch auch die USA waren längst nicht Erste mit so einer Regelung, das waren die Schweden, die ganze 200 Jahre davor, 1766 ihr erstes Informationsfreiheitsgesetz beschließen. König Adolf Friedrich nennt im ersten Gesetzestext auch explizit die Kontrollfunktion der Medien: „Während diese Freiheit auch als eines der besten Mittel zur Verbesserung der Moral und zur Förderung des Gehorsams gegenüber den Gesetzen angesehen werden sollte, wenn Missbräuche und Rechtswidrigkeiten durch die Presse öffentlich aufgedeckt werden,” heißt es da.
In Österreich hingegen hat man es nicht so, mit der öffentlichen Aufdeckung von Rechtswidrigkeiten durch die Presse. Nur nicht hudeln. Hier gilt vielmehr seit 1925 – also auch fast 100 Jahre – das Amtsgeheimnis. Erst 1987 kommt ein Auskunftspflichtgesetz, da war die Fortsetzung von „Dawn of the Dead” schon längst im Kino gewesen. Jahrzehntelang bleibt es dann auch auf gut Wienerisch, a schöne Leich – also das Auskunftspflichtgesetz.
Das unbekannte Wesen
10 Jahre nach seinem Inkrafttreten titelt etwa der Kurier: „Auskunftspflicht ist nahezu unbekannt”. Gemeint war die Bevölkerung, aber das gilt seit jeher auch für den Journalismus. Die Pflicht zur Auskunft für öffentliche Stellen war jahrzehntelang im journalistischen Kontext tatsächlich totes – also nicht angewandtes – Recht. Wer Missstände aufdecken und Verwaltung kontrollieren wollte, war darauf angewiesen, dass jemand Vorgaben und manchmal sogar Gesetze bricht. Die Beamtin, die unter der Hand den Akt weitergibt, der politische Gegner der Dokumente nach außen spielt oder der übergangene Abteilungsleiter, der an die Medien geht. Wenn das Ministerium nicht wollte und sonst niemand plauderte, blieben Missstände tatsächlich geheim. Da kann es noch so streng riechen.
So war das viele Jahrzehnte. Die Journalistinnen und Journalisten hat es geärgert, man hat gesetzliche Neuregelungen gefordert, die vorhandenen Mittel eingesetzt hat man aber auch nicht oder nur kaum. Bis 2010, „Dawn of the Dead ” hatte bereits ein – furchtbares – Remake hinter sich, als sich einige engagierte Journalisten denken, das gibt es ja nicht und beginnen am Friedhof des toten Rechts herumzuackern. Das „Forum Informationsfreiheit” fordert eine Abschaffung des Amtsgeheimnisses, aber: Man tut auch selbst was gegen die Mauer des Schweigens. Markus Hametner, ein famoser Journalistenkollege, beginnt – damals noch beim Standard – 2015 einen Kampf gegen Windmühlen. Sieben Jahre lang wird er um den Kaufvertrag der Eurofighter streiten und am Ende gewinnen. Irgendwo am Weg erzählt er mir von der kafkaesken Realität, die Bescheide österreichischer Ministerien oft zeichnen. Information kann da zu gleichen Teilen höchst schützenswert und sogar von nationalem Interesse sein und der Journalist mit seiner Anfrage zugleich nur mutwillig handeln.
Regel Nummer eins: Das Ministerium hat immer recht. Sollte das Ministerium mal nicht recht haben, tritt automatisch Regel Nummer eins in Kraft. So habe ich die Verwaltung viele Jahre kennengelernt.
Der Journalismus hat das lange Zeit achselzuckend zur Kenntnis genommen.
Bezugsfragen
In der österreichischen Innenpolitik gab es etwa lange eine bemerkenswerte Tradition: Pünktlich zu jedem Regierungswechsel verweigert das Bundeskanzleramt jede Auskunft darüber, welche ehemaligen Ministerinnen und Minister Anspruch auf die Bezugsfortzahlung haben und welche nicht. Der Datenschutz, so hieß es stets, man bitte um Verständnis. Doch fast ebenso regelmäßig tauchen wenig später – rein zufällig natürlich – in der bevorzugten Boulevardzeitung des Kanzlers einige dieser Namen auf. Nicht immer alle, auch das ist bemerkenswert, aber doch einige, die die „Arbeitslosenunterstützung“ für ehemalige Ministeriumsmitglieder in Anspruch genommen haben. In Österreich kann eine Information also gleichzeitig geheim und öffentlich sein. Kein Wunder, dass Schrödingers Katze in Wien gelebt hat – oder eben nicht.
Weil Traditionen da sind, um gebrochen zu werden, fordere ich Bescheide an, von der Parlamentsdirektion und dem Bundeskanzleramt. Erwartungsgemäß wird auf den Datenschutz verwiesen. Die Tatsache, wer Fortzahlungen erhält und wer nicht – sie falle unter die persönlich schützenswerten Informationen. Mittlerweile beim ORF, bitte ich die Rechtsabteilung um Hilfe und so beginnt ein Kampf, der fünf Jahre später dazu führt, dass nun ein paar der früheren Leichen lebendiger denn je umherstreifen. Gewissermaßen als Zombies, früher tot und heute quietschlebendig.
Articles of Interest
Nach dem VfGH, dem VwGH und dem OGH haben inzwischen alle Höchstgerichte des Landes die europäische Rechtssprechung zum Artikel 10 der europäischen Menschenrechtskonvention und dem journalistischen Zugang zu öffentlichen Daten zu österreichischer Rechtssprechung gemacht. Nicht nur die Veröffentlichung unterliegt seither dem Schutz der Presse- und Meinungsfreiheit, schon das Sammeln von Informationen ist durch diese geschützt. Die Recherche ist Teil der Pressefreiheit, ein Staat darf Journalistinnen und Journalisten Informationen nur dann verweigern, wenn wesentliche Gründe dagegen sprechen. Das sagt im Kern der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte – kurz EGMR- in einer wegweisenden Entscheidung, die das ungarische Helsinki Komitee 2016 erkämpft hat.
Darin hat der EGMR klare Kriterien aufgestellt, an die er die Weitergabe von Informationen knüpft. Diese Kriterien dienen nicht nur dem Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit, sondern auch der Wahrung eines angemessenen Ausgleichs mit anderen Interessen, wie dem Schutz der Privatsphäre oder der öffentlichen Sicherheit.
Das erste Kriterium, das der EGMR festlegt, ist die Notwendigkeit der Information zur Ausübung der Meinungsfreiheit. Es muss sich um einen wesentlichen Vorbereitungsschritt für die Veröffentlichung handeln, sprich ein zentraler Teil der Recherche sein. Oder noch einfacher: Ohne Excel-Liste kein Bericht zu Corona-Hilfen. Das zweite Kriterium ist, ob die Information von öffentlichem Interesse ist und damit das Potenzial hat, eine bedeutende gesellschaftliche Diskussion anzustoßen oder zu beeinflussen. Neugierde alleine reicht nicht aus, eine Information muss wichtig genug sein, um andere Rechte der Betroffenen, wie vor allem den Datenschutz auszuhebeln. Ein weiteres Kriterium ist, dass die Information für die Veröffentlichung benötigt wird. Die Person, die die Daten haben will, muss ein sogenannter „public watchdog” sein, also Machthaber aller Art kontrollieren wollen. Das sind in aller Regel Journalistinnen und Journalisten, leider auch nicht immer, aber das ist eine andere Debatte. „Public watchdogs” können aber auch Nichtregierungsorganisationen sein, wie im Anlass gebenden Fall das ungarische Helsinki Komitee. Schließlich fordert der EGMR, dass die Information bereit und verfügbar sein muss, öffentliche Stellen ersetzen also nicht die journalistische Recherche. Wir bekommen bestenfalls Listen, auswerten müssen wir selbst.
Österreichische Höchstgerichte haben diese Kriterien konsequent übernommen und vollumfänglich in ihre eignen Urteile einfließen lassen. Die Abwägung zwischen öffentlichem Interesse und Persönlichkeitsrechten ist dadurch klarer geregelt und für Gerichte und Behörden nachvollziehbarer.
Grundsatzfragen
Es fällt schwer, Menschen, die damit wenig zu tun haben, die Bedeutung dieser Entscheidungen klarzumachen. Als ich heuer nach vier Jahren Verfahren am Bundesverwaltungsgericht den ganz großen Teil aller Empfänger der Corona-Hilfen zugesprochen bekomme, ist es vor allem einer der letzten Sätze der Entscheidung, die mich am meisten freuen. Eine Revision ist dem unterlegenen Ministerium nicht mehr möglich, denn es handelt sich nicht mehr um eine „Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung”. Ab sofort geht es nur noch um Einzelfallentscheidungen – wenn wir überhaupt noch vor Gericht müssen. Auskunftspflichtverfahren können damit kürzer dauern, nicht mehr fast ein halbes Jahrzehnt, sondern nur noch Jahre. Und ja, das ist schon ein Erfolg.
Corona
Bei den Corona-Hilfen erkennt das Bundesverwaltungsgericht etwa an, dass Unternehmen, die staatliche Förderungen erhalten, einem viel geringeren Schutz unterliegen, als etwa Ein-Personen-Unternehmen. Staatliche Förderungen an GmbHs oder Aktiengesellschaften werden in voller Höhe für Journalistinnen und Journalisten zugänglich. So wusste die Öffentlichkeit zwar von den COFAG-Hilfen für die Austrian Airlines, nicht aber wie viel Kurzarbeitshilfen in dieses und andere Unternehmen floss. Die Höhe der massiven Doppel- manche nennen es sogar Überförderung – in der Coronapandemie, sie ist jetzt mess- und belegbar. Ein Beispiel gefällig? Die Firma hinter dem mittlerweile sehr bekannten Chalet N, dem Luxushotel von René Benko, in dem er selbst sein bester Kunde war, erhielt in der Corona-Pandemie exakt 1.303.316,93 Euro an staatlichen Förderungen.
Die chronische Überlastung der Verwaltungsgerichte und die damit fast absurd langen Verfahrensdauern bleiben aber das größte Hindernis für eine effektive Kontrolle durch Transparenzgesetze. So stehen im neuen Informationsfreiheitsgesetz zwar kürzere Fristen, doch die gibt es schon jetzt – am Papier. Sie sind – erraten: Totes Recht. Die Realität zeigt, dass es oft Jahre braucht, um an Entscheidungen zu kommen. 1.378 Tage dauerte es bei den Corona-Hilfen des Finanzministeriums von meiner Anfrage beim Ministerium bis zur Entscheidung nur eine Instanz höher. 3 Jahre, 9 Monate und 9 Tage sind eine verdammt lange Zeit in der, der politische Diskurs längst weitergezogen ist. Klar, eine gute und saubere Abwägung aller Interessen benötigt Fakten und sie zu beschaffen benötigt Zeit, aber auch eine informierte Öffentlichkeit benötigt Fakten für eine Debatte und das möglichst rasch. Lange Verfahren schützen jene, die vernebeln wollen und behindern jene, die da sind, um die dunklen Ecken auszuleuchten.
Und tatsächlich geht es anders: Nur ein halbes Jahr dauert es, eine Entscheidung vom Bezirksgericht bis zum Obersten Gerichtshof durchzukämpfen. Auge: Bundesverwaltungsgericht, wie man so schön auf twitter sagt.
Grenzfragen
Beim OGH erkämpfen wir Einblick ins Grundbuch und können dort nun, in manchen Fällen, nach Personen suchen. Ein Privileg, dass nur Berufen mit „rechtlichem Interesse” zusteht, wie etwa Anwälten. Außerhalb aller Auskunftspflicht-Gesetze steht meiner Zunft also ein weiteres Mittel zur Verfügung, Verwaltung zu kontrollieren, von der Einhaltung von Sanktionen gegen russische Oligarchen bis zum Bezirksvorsteher mit Umwidmungsleidenschaft. Wir finden euch.
Ein Gedanke, der, konsequent weitergedacht, übrigens auch ein ganz anderes Feld öffnen könnte: Den Heiligen Gral des Investigativjournalismus – Die Akteneinsicht.
Es ist gar nicht so verwegen, wie es auf den ersten Blick für einige wirken könnte, aber sowohl in zivil- als auch in manchen strafrechtlichen Angelegenheiten könnte man ein gesetzlich zugesichertes Recht von Journalistinnen und Journalisten erkennen, zumindest Teile eines Aktes ganz offiziell einsehen zu dürfen. Bitte verraten Sie manchen Parteien und vor allem der Verfassungsministerin nichts davon, aber vielleicht sind wir nur noch eine höchstgerichtliche Entscheidung davon entfernt, dass Journalistinnen und Journalisten das ganz offizielle Recht auf Akteneinsicht haben. Aber besser nicht spoilern.
Doppeljob
Noch ein Spannungsfeld offenbart die neue, erzwungene Offenheit. Als ich in – noch nur zugespielten – Akten der WKSta zur Tätigkeit von Sophie Karmasin nach ihrer Karriere als Ministerin blättere, fällt mir auf, dass Karmasin kurz nach ihrem Ausscheiden aus der Bundesregierung wieder zu arbeiten begonnen hatte. Ich wusste also, dass Karmasin nach ihrer Zeit als Ministerin Bezugsfortzahlung bekommen hat und ich wusste, dass sie in dieser Zeit auch noch anderen Tätigkeiten nachgegangen ist. Dummerweise ist das allerdings genau das verboten.
Es wäre ein Leichtes für das zuständige Kanzleramt so ein – illegales – Verhalten zu entdecken und zu sanktionieren, nur man tut es einfach nicht. Das AMS überprüft bei jedem und jeder einzelnen Arbeitslosen, ob zusätzliches Einkommen fließt und streicht gegebenenfalls die Unterstützung. Ex-Ministerinnen oder Ex-Nationalratsabgeordnete werden bis heute mit solchen Kontrollen nicht behelligt. Wenn nicht zufällig die WKSta Rechnungen findet und ein Journalist eins und eins zusammenzählt, kann man auch heute noch bei der Bezugsfortzahlung recht entspannt betrügen.
Reue
Das hat auch mit einer zweiten Eigenschaft des österreichischen Rechts zu tun, die Juristinnen und Juristen in Gesprächen mit mir gerne verteidigen, die mir aber vor allem in Bezug auf mächtige und reiche Menschen einiges an Kopfzerbrechen bereitet. Der „tätigen Reue”. Sophie Karmasins Mann – sie selbst sitzt zu dem Zeitpunkt noch in Untersuchungshaft – zahlt wenige Stunden nach meiner Anfrage einen guten Teil des zu Unrecht erhaltenen Bezuges zurück.
Karmasin wird der Prozess gemacht, der Richter stellt zweifelsfrei fest, dass sie sogar nachgefragt hat, ob sie dazuverdienen dürfe. Das wurde verneint und sie hat es dennoch getan und doppelt Geschäfte gemacht. Trotz allem, geht Karmasin in diesem Punkt straffrei, denn sie hat „tätige Reue” geübt und das Geld zurückgezahlt. Das konnte sie nur wegen meiner Anfrage.
Ich bin also Schuld am Prozess gegen sie und zugleich bin ich verantwortlich für Ihren Freispruch. Eine bizarre Situation. Dass jemand jahrelang seine Tat nicht wiedergutmacht, nicht aus eigenem Antrieb handelt, sondern erst das zu Unrecht bezogene Geld zurückzahlt, wenn sie damit rechnen muss, am Abend in einer der wichtigsten Nachrichtensendungen des Landes geoutet zu werden und all das geht als „tätige Reue” durch, macht mich nachdenklich. Wir Journalisten sind keine Staatsanwälte, zugleich sollten wir aber auch durch saubere Arbeit Menschen nicht vor ihren Strafen bewahren.
Auf-wändig
Jedenfalls ist es, meiner Meinung nach, die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen ORF solche Entscheidungen zu erkämpfen. Diese langen und komplexen Verfahren zu führen, damit danach beide Seiten Klarheit haben. Auch für Behörden sind solche Prozesse enormer Aufwand. Andere Medien ohne große Rechtsabteilung können wir so hoffentlich entlasten. Ein Beschwerdeverfahren gegen einen Bescheid beim Bundesverwaltungsgericht kann man ohne anwaltliche Unterstützung mit ein wenig Leidenschaft für das Thema ohne Weiteres gewinnen. Eine Grundsatzentscheidung in einer Sachfrage, vielleicht sogar vor einem Höchstgericht benötigt die Unterstützung von Profis, wie wir sie zum Glück in der ORF-Rechtsabteilung haben.
Gibt es bereits anwendbare Gerichtsentscheidungen, so sind ähnliche Verfahren ähnlich zu entscheiden. Mit der Entscheidung zur Bezugsfortzahlung von früheren Regierungsmitgliedern in der Hand, erhalte ich etwa recht problemlos von Bundeskanzleramt und dem Nationalrats-Präsidenten Auskunft darüber, welche Personen in Österreich die alte Politikerpension beziehen. Auch so ein Geheimnis der zweiten Republik, das jetzt gelüftet ist.
Ausweitung der Kampfzone
Wenn nächstes Jahr das Informationsfreiheitsgesetz in Kraft treten wird, wird das für Behörden sehr viel ändern, nicht ganz so viel für Journalistinnen und Journalisten. Ganz wesentlich für uns ist sicher die immense Ausweitung auskunftspflichtiger Stellen. Auskunft müssen in Zukunft nicht nur alle Behörden geben, sondern auch alle Unternehmen und Verbände, die der Rechnungshof kontrolliert. Von der ASFINAG bis zum Gemeindeabwasserverband Unteres Zayatal. Bislang nahm das ja bizarre Formen an. So hat die Austria Wirtschaftsservice – kurz AWS – einen riesigen Teil der Coronahilfen abgewickelt oder auch die Zahlungen für das betriebliche Testen in der Corona-Pandemie. Bei Letzterem flossen satte 134 Millionen Euro in die Unternehmen, kontrolliert wurde – sie haben es erraten – eher wenig. Also wollte ich die Namen aller Unternehmen und die Summen, um selbst Nachforschungen anstellen zu können. Sie ahnen es bereits: Jene Firma, die, im 100%igen Eigentum des Staates, staatliche Gelder im staatlichen Auftrag ausbezahlt, sieht sich selbst nicht als Teil der staatlichen Verwaltung. Die AWS weigert sich nicht nur, mir die Informationen zu geben, nicht einmal einen bekämpfbaren Bescheid bekomme ich, man sei schließlich privatwirtschaftlich organisiert. Dieser himmelschreiende Unfug endet endgültig mit dem 1. September 2025.
Und nur damit das auch einmal gesagt ist: Selbstverständlich unterliegt auch der ORF künftig dem Informationsfreiheitsgesetz und das ist sehr gut so.
Der Mangel eines Informationsfreiheitsbeauftragten war zwar ein Wunsch der ÖVP, doch ich glaube, es sind vor allem die vielen kleinen Gemeinden und Verbände, die ein solches Amt am Ende schmerzlich vermissen werden. Was die ÖVP aus machttaktischen Überlegungen abgelehnt hat, fehlt nun jenen auskunftspflichtigen Stellen ohne große Rechtsabteilung. Viele ganz kleine Einheiten, die – richtigerweise – Auskunft geben müssen, hätten von einem solchen Informationsfreiheitsbeauftragten profitiert. Die Spruchpraxis wäre österreichweit viel schneller und klarer gewesen, nun droht ein Wildwuchs an Interpretationen und eine verhältnismäßig lange Zeit bis alle wissen, wie das neue Gesetz wirklich gemeint war. Eine Lücke, die die Datenschutzbehörde, die diesen Job nebenbei mitmachen muss, nur deutlich schwerer füllen wird können. Dass ausgerechnet jene Behörde, die Datenschutzverletzungen ahnden soll, künftig auch beraten wird, welche Daten nicht schutzwürdig sein sollen, ist eine dieser Ideen, die es nur in Wien gibt. Hier schließt sich der Kreis zu Erwin Schrödinger.
Das neue Gesetz ist trotz allem ein rechtlich solider Rahmen für die Zukunft. Dass die mediale Öffentlichkeit einen absoluten Nebenaspekt, wie die fehlende proaktive Veröffentlichung für Gemeinden unter 5.000 Einwohner in den Mittelpunkt stellt, zeigt vor allem, wie groß noch immer das Unverständnis für Transparenzgesetze in Redaktionen ist. Diese regeln, wie die Öffentlichkeit über den Rechtsweg an bislang unbekannte, vielleicht sogar geheime Informationen kommt. Viel zu oft wird in Österreich von einer Bringschuld der Regierung gesprochen, dabei ist es viel mehr eine Holschuld vor allem der Medien. Das Amtsgeheimnis war viel zu lang eine bequeme Ausrede für Redaktionen, Missstände nicht aufdecken zu können. Auch das Amtsgeheimnis war am Ende – vor allem für uns „public watchdogs” längst totes Recht, ausgehöhlt von europäischer Judikatur, lag es irgendwo am Zentralfriedhof der Zweiten Republik. Dass es nun endgültig ausgemustert wird, ist ein schönes Symbol, aber wenig mehr. Viel entscheidender wird sein, wie Redaktionen auf diese neuen Möglichkeiten reagieren werden.
Die gute Nachricht: Schon jetzt haben sich die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts in Auskunftspflichtsachen in den vergangenen Jahren versechsfacht. Die schlechte Nachricht: 2014 waren es gerade mal fünf Entscheidungen. Heuer sind es bereits 31 – für zwei davon bin ich verantwortlich. Es ist also noch Luft nach oben.
Nur wenn ein selbstbewusster Journalismus all diese Hürden auf sich nimmt, um Verwaltung zu kontrollieren, nur wenn Medien die rechtliche Kompetenz in ihren Redaktionen stärken, nur wenn niemand Angst davor hat, auch mal ein paar Jahre zu investieren, wird totes Recht wieder lebendig. Die Nacht der lebenden Toten – sie möge beginnen. Die Pompfüneberer in den Ministerbüros konnten lange genug Missstände zudecken.