Es ist mit Förderdaten in der Höhe von 8,3 Milliarden Euro eine der wohl umfangreichsten Transparenz-Entscheidung eines österreichischen Gerichtes bisher. Die Namen zehntausender Firmen und die Höhe der bezogenen Kurzarbeitshilfen sind nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes erstmals öffentlich. Mehrere Wochen hat ein Team des ORF die Daten ausgewertet, unsere Berichte zu den Inhalten der Daten finden Sie in den Sendungen der Zeit im Bild, auf orf.at oder im Magazin Eco. Hier: Der lange Kampf um die Daten.
“Unser Zugang ist, koste es, was es wolle, um österreichische Arbeitsplätze zu retten.” Österreich war gerade erst wenige Tage im ersten Corona-Lockdown, da gab Sebastian Kurz das Motto der Bundesregierung aus. Bisher ungekannte Summen ergossen sich über die Republik. Am Ende sollten es fast 48 Milliarden Euro werden, die die Bundesregierung über unterschiedlichste Maßnahmen an Unternehmen überweisen sollte. Der mit Abstand größte Brocken war die Kurzarbeit. 9,8 Milliarden Euro werden am Ende für diese Maßnahme ausgegeben.
Sehr schnell war klar, dass die Frage wohin die Gelder fließen, das Land noch Jahre beschäftigen wird. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss widmet sich zurzeit den Auszahlungen der COFAG, also den direkten Förderungen des Staates, die über eine ausgelagerte GmbH – die COFAG – ausbezahlt wurden. Darunter fallen Maßnahmen wie der Fixkostenzuschuss, der Umsatzersatz oder der Ausfallbonus.
Zunächst bleiben alle Corona-Gelder geheim, die Regierung veröffentlicht nicht einen Cent. Eine EU-Richtlinie zwingt die Koalition, Förderungen über 100.000 Euro, ein Jahr später auf einer Homepage der EU zu veröffentlichen. Nach großem öffentlichen Druck mehr zu tun, entscheidet sich die Bundesregierung im September 2022 zumindest jene Zahlungen, zu deren Veröffentlichung die EU sie ohnehin zwingt, auf einer Seite des Kanzleramtes zu veröffentlichen. Immerhin senkt man die Grenze, ab der veröffentlicht wird, auf 10.000 Euro. Wenn seither von “Corona-Förderungen” die Rede ist, dann sind das diese Zahlen. Mit einer großen Ausnahme.
Nicht veröffentlicht werden die Zahlungen im Rahmen der Kurzarbeit. Keine EU-Regelung verpflichtet die Regierung dazu und bei der nationalen Veröffentlichung berücksichtigt man die Maßnahme nicht. Die Verwendung von fast 10 Milliarden Euro bleibt im Dunklen.
2. Juni 2020, die ZIB2 läuft gerade, da schicke ich die erste Anfrage los, auf deren erste Beantwortung ich 1.385 Tage warten werde. Vom Arbeits- und Finanzministerium verlange ich – auf Basis des Auskunftspflichtgesetzes – die Namen und die Summen aller Empfänger der Covid Hilfen.
Die Ministerien beantworten die Anfragen, erwartungsgemäß nicht. Anfang Juli teilt mir das Arbeitsministerium in einem Bescheid mit, eine Auskunft würde dem Datenschutzgesetz widersprechen. Ich verlange einen Bescheid, den wir bekämpfen.
Ob ein solcher Bescheid rechtmäßig erlassen wurde und damit auch ob Behörden im konkreten Fall eine Auskunft verweigern dürfen, entscheiden in Österreich die Verwaltungsgerichte. Beim Bundesverwaltungsgericht bekommen wir recht, doch das Arbeitsministerium bekämpft den Bescheid und der VwGH – das oberste Gericht in Verwaltungsfragen – gibt wiederum dem Ministerium recht. Das Gericht entscheidet, dass ich die Daten beim AMS anfragen hätte müssen. Ziemlich genau ein Jahr nach der ersten Anfrage stehen wir also wieder bei null.
So einfach geben wir uns nicht geschlagen und beginnen wieder von vorne. Ich frage das AMS, allerdings formuliere ich die Anfrage etwas komplexer und das aus guten Gründen. Auskunftspflichtverfahren wägen immer mehrere Grundrechte miteinander ab, fast immer geht diese Abwägung so: Das Recht auf Datenschutz all jener, über die Auskunft verlangt wird, gegen das Recht der Öffentlichkeit auf freie Meinungsäußerung. Das klingt auf den ersten Blick verwirrend, aber der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sagt, dass auch das Wissen über staatliche Vorgänge vom Recht auf freie Meinungsäußerung umfasst ist. Wir nehmen diese Abwägung – Datenschutz vs. Wissen – schon vorweg und verlangen nicht mehr alle Daten, sondern wollen “nur” noch:
- Die Daten von Firmen, die “gemäß den §§ 277 bis 280a UGB” offenlegungspflichtig sind. Das klingt furchtbar technisch, bedeutet aber einfach, dass wir alle Daten wollen von Firmen, die ohnehin Bilanzen legen müssen und von denen der Staat selbst Transparenz verlangt. Konkret betrifft das etwa alle GmbHs und Aktiengesellschaften.
- Die Daten aller Firmen, die mehr als 100.000 Euro erhalten haben. Die Grenze setzt die Europäische Union für die Veröffentlichung von Beihilfen. Also übernehmen wir die auch.
Damit bleiben nur noch kleinere Firmen, die vergleichsweise wenig bekommen haben, deren Daten wir nicht wollen. Wir wollen zur Struktur der Empfänger recherchieren und die großen Fische ansehen, deshalb halten wir das für einen guten Kompromiss.
Das AMS beantwortet diese Anfrage erwartungsgemäß auch nicht und wir beeinspruchen wieder. Dann passiert: Nichts. Sehr lange. Am 20.12.2021 legen wir Beschwerde ein, erst drei Jahre später am 1. März 2024 gibt es eine Entscheidung. Das Bundesverwaltungsgericht gibt uns in allen Punkten Recht und schließt sich im Wesentlichen unserer Argumentation an. Kurz darauf übermittelt das AMS die Daten, über die wir nun die Öffentlichkeit informieren dürfen.
Bemerkenswert ist, dass das BVwG eine sogenannte “ordentliche Revision” ausschließt. Eine Revision würde bedeuten, dass der VwGH – das höchste Gericht in Verwaltungsfragen in Österreich – noch einmal entscheiden müsste, wenn es das AMS anruft. Das wäre der Fall, “wenn sie [die Entscheidung, Anm.] von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt“. Das BVwG sagt also – salopp formuliert – das wurde alles längst durchgefochten, hier geht es um keine prinzipielle Frage der Transparenz mehr, sondern nur noch um eine Abwägung im konkreten Fall. Das ist toll, weil damit das Verfahren “kürzer” also nur vier Jahre dauert und nicht noch viele Monate oder Jahre vergehen.
Warum veröffentlicht der ORF nicht alle Empfänger der Kurzarbeit?
Das ist eine sehr komplexe Frage, die auch im Verfahren immer wieder Thema war. Medien haben Zugang zu diesen Daten, als Vorbereitung für eine Recherche. Wir brauchen die Daten, um überhaupt zur Kurzarbeit recherchieren zu können. Medien unterliegen aber auch selbst rechtlichen Bedingungen, etwa dem Medienrecht oder (mit Einschränkungen) dem Datenschutzgesetz. So heißt es in der Entscheidung: Darüber hinaus ist der Beschwerdeführer im Umgang mit den angefragten Daten selbst an die datenschutzrechtlichen Bestimmungen gebunden, womit ihn für den Fall einer Veröffentlichung von Unternehmensnamen und Fördersummen durch ihn entsprechende Schutzpflichten und Abwägungserfordernisse treffen.” und: “In diesem Zusammenhang ist dann in weiterer Folge zu berücksichtigen, dass das Ziel des gegenständlichen Auskunftsersuchens die Herausgabe von Unternehmensnamen und Beihilfensummen an einen Journalisten und nicht eine allgemeine Veröffentlichung der Information mit Zugang für die Allgemeinheit ist.” Wir können medienrechtlich all jene Firmen und deren empfangene Summen veröffentlichen, bei denen wir aus journalistischer Sicht ein Interesse der Öffentlichkeit gut begründen können. Das sind etwa ganz sicher die Top 100 Firmen, aber auch etwa Firmen im öffentlichen Eigentum, von Parteien oder solche Unternehmen, die Fragen zur Gestaltung der Hilfen aufwerfen. Wir können das bei allen Firmen, die wir im Zuge der Berichterstattung nennen, gut begründen, nicht aber bei allen Tausenden Firmen der Liste.
Journalistinnen und Journalisten anderer Medien können mit dieser Entscheidung zum AMS gehen, müssten diese Liste auch bekommen und können darin recherchieren. Eine komplette Veröffentlichung der Liste für die Öffentlichkeit könnte das Arbeitsministerium mit dem Nationalrat jederzeit ermöglichen, so wie es bei den anderen Hilfen der Fall war. Man müsste dann die Kurzarbeitshilfen in dieses Gesetz aufnehmen.
Finanzministerium
Ein sehr, sehr ähnliches Verfahren führen wir – wie angesprochen – auch mit der Finanz, auch hier wollen wir 2020 alle Empfängerfirmen von Corona-Hilfen. Nach einem sehr, sehr langen, sehr komplexen Verfahren, kommt praktisch zeitgleich zur Kurzarbeit eine ziemlich idente Entscheidung des BVwG. Auch diese Anfrage ging raus, bevor die Regierung entschloss, weite Teile der Empfänger öffentlich zu machen. Wie zu erwarten, bleiben die Empfänger von Steuerstundungen geheim, die anderen Empfänger, etwa von Fixkostenzuschüssen oder dem Umsatzersatz müssen uns aber, nach dem gleichen Schlüssel wie bei der Kurzarbeit, zugänglich gemacht werden. Waren bisher Hilfen über 10.000 Euro bekannt, werden also bald alle Hilfen an AGs und GmbHs für Journalistinnen und Journalisten zugänglich. Die Daten werden gerade zusammengestellt und uns in Kürze übermittelt.