Der Oberste Gerichtshof entscheidet nach einer Beschwerde von Michael Nikbakhsh und mir, dass Journalistinnen und Journalisten prinzipiell ein “rechtliches Interesse” haben, im Grundbuch nach Personen suchen zu dürfen. Es ist eine wegweisende Entscheidung für investigativen Journalismus, auch im europäischen Kontext.
Das ist die Geschichte einer Recherche ohne Ergebnis, die dennoch sehr erfolgreich war.
Seit Beginn des Krieges in der Ukraine reagieren die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union mit zahlreichen Sanktionspaketen auf die Aggression Russlands. Die Sanktionen sollen die russische Wirtschaft treffen und Putins Fähigkeit, Krieg zu führen, einschränken. Sie sollen es aber auch den einflussreichen und meist sehr wohlhabenden russischen Unternehmenschef:innen, Oligarch:innen und Politiker:innen verunmöglichen, ihr Leben im Westen so weiterzuführen wie vor dem Krieg.
Die Aufgabe, in Österreich nach russischem Besitz zu suchen, fällt den Verfassungsschützer:innen der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) im Innenministerium zu. 1,7 Milliarden Euro an Vermögen will man bereits eingefroren haben. 90 Prozent davon seien Gelder auf Bankkonten, meldet das Ministerium. Ein kleiner Teil betrifft aber auch russischen Immobilienbesitz in Österreich. Welche Vermögenswerte gesperrt werden, erfährt die Öffentlichkeit aber nicht. Nur durch eine sehr aufwändige und teure Suche im Grundbuch lässt sich herausfinden, welches Vermögen prominente russische Staatsbürger in Österreich besitzen und allenfalls überprüfen, ob es auch tatsächlich gesperrt wurde.
Dazu muss man wissen, wie das Grundbuch funktioniert. Schon im April haben ORF und Profil über die Sanktionierung des Politikers und Unternehmers Andrey Gorokhov berichtet. Die Recherchen damals ziehen sich, verlaufen enervierend. Zwar steht im
Grundbuchgesetz “Das Grundbuch ist öffentlich“ – und doch ist es nicht möglich, nach Namen zu suchen. Die Öffentlichkeit, und damit auch Journalistinnen und Journalisten, können die Namen von Besitzer:innen jedes Grundstücks einsehen. Sie können aber nicht – ohne die Adresse zu kennen – nachsehen, welche Immobilien eine Person noch anderswo in Österreich besitzt.
Geregelt ist das im “Grundbuchumstellungsgesetz”. Als die hunderten analogen Grundbücher der Bezirksgerichte in den 1980ern digital wurden, hatte man Angst, dass es allzu leicht werden könnte, Personen und die Grundstücke, die ihnen gehören, zu finden. Im Gesetz steht: “Abschriften und Mitteilungen aus dem Personenverzeichnis (sind) nur denjenigen Personen, die ein rechtliches Interesse daran darlegen, in dem dadurch gerechtfertigten Umfang zu erteilen.” Ein “rechtliches Interesse” also. Rechtsanwält:innen können deshalb im Grundbuch auch nach Namen suchen, Notar:innen ebenfalls. Journalist:innen aber nicht.
Bislang.
Wer ein solches rechtliches Interesse haben kann, ist im Gesetz nicht näher definiert. Auch in den parlamentarischen Materialien zum Grundbuchumstellungsgesetz findet sich keine genauere Definition. Dort findet sich nur der Satz “Ein rechtliches Interesse an der Einsicht des Personenverzeichnisses wird z. B. gegeben sein, wenn jemand einen Exekutionstitel gegen den Eigentümer hat.”
Aber haben auch Journalistinnen und Journalisten unter bestimmten Bedingungen ein rechtliches Interesse? Was früher wohl klar mit “Nein” beantwortet worden wäre, ist mittlerweile alles andere als eindeutig. Denn 2021 erkämpfen wir ein wegweisendes Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes in der Frage, ob und welche Informationen öffentliche Stellen Journalist:innen zur Verfügung stellen müssen. Schon länger sprechen Michael Nikbakhsh, Stefan Melichar, Ulla Kramar-Schmid und ich darüber, dass diese ganze Recherche zu Andrey Gorokhov viel einfacher wäre, wenn wir auch im Grundbuch suchen könnten.
Im März 2022 versuchen wir zunächst über das Auskunftspflichtgesetz Informationen aus dem Justizministerium zu bekommen. Wir schicken eine Liste an 20 prominenten Russinnen und Russen mit starken Verbindungen nach Österreich ans Justizministerium. Ein guter Teil von ihnen steht auf einer Sanktionsliste. Ein paar Wochen später erhalten wir: nichts.
Das Justizministerium sieht sich nicht zuständig, weil Grundbücher an Gerichten geführt werden und die Justiz nicht Teil des Auskunftspflichtverfahrens sein kann, das ist nur die Exekutive, nicht die Judikative.
Im Mai 2022 reift daher der Entschluss: Wir gehen vor Gericht. Beim Bezirksgericht Innere Stadt bringe ich einen Antrag auf Personensuche im Grundbuch im Namen von Michael Nikbakhsh und mir ein. Wir führen die gleiche Liste an 20 Personen an, jeweils mit Begründung. Und wir legen unser rechtliches Interesse dar:
Das Grundbuch ist eines der zentralen Recherchetools für investigativen Journalismus. Besitzverhältnisse von Liegenschaften sind zentral, um Fragen von Machtmissbrauch, Umgehungskonstruktionen von Sanktionen oder Korruption nachzugehen. Journalistische Recherche in öffentlich verfügbaren Datenbanken ist deshalb zentral für unsere Arbeit. Aufgrund des Krieges in der Ukraine wurden europaweit und auch in Österreich Sanktionen gegen Russland verhängt. Um die Einhaltung dieser Sanktionen recherchieren zu können, ist es erforderlich herauszufinden, welche Vermögenswerte russische Oligarchinnen und Oligarchen in Österreich haben.
Dann geht alles ganz rasch und nach Plan. Noch im Juni weist das Bezirksgericht Innere Stadt unser Begehren ab. Wir gehen in Rekurs beim Landesgericht, das uns unser Ansinnen – wie erwartet – im Augst 2022 zurückwirft. Diese beiden Gerichte konnten mangels höchstgerichtlicher Judikatur praktisch nicht anders entscheiden. Im September schicken wir dann unseren – Achtung, gefährliches Wort – Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof. Der entscheidet bereits Ende des Jahres:
Aus den zitierten Entscheidungen des EGMR und des VfGH ist zunächst abzuleiten, dass das Informationsinteresse der Medien und deren Recht auf Zugang zu Informationen unter den genannten Voraussetzungen ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht sein kann.
Es ist unter anderem dieser Satz des Obersten Gerichtshofes, der künftig für Journalist:innen einige Türen wieder öffnen könnte, die sich vor kurzem geschlossen haben. Der OGH gesteht uns zu, dass wir ein rechtliches Interesse haben, die Grundstücke all jener Personen zu erfahren, die auf den zahlreichen EU-Sanktionslisten stehen.
Wenn auch die bundesweite Digitalisierung des Grundbuchs die personenbezogene Abfrage in einer mengenmäßig umfangreicheren Datenbank (als etwa in Deutschland) ermöglicht, überwiegt das Interesse der Presse am Erhalt der begehrten Informationen das Recht auf Datenschutz der im Grundbuch eingetragenen, von den EU-Sanktionen erfassten Personen, zumal es um die für die öffentliche Diskussion wesentliche Kenntnis geht, ob Österreich die Sanktionen (ausreichend) mitträgt.
Der OGH unterscheidet in seiner Entscheidung klug, zwischen jenen Namen, bei denen eine “Handlungspflicht” des Staates besteht, die die Öffentlichkeit auch kontrollieren können muss und jenen, bei denen eine solche Pflicht nicht besteht. Wir erhalten also Auskunft nur über jene der angefragten Personen, die auf Sanktionslisten stehen. Das Bezirksgericht teilt uns deshalb mit: Nicht einer der von uns Genannten hat direkt Grundbesitz in Österreich. Das passiert wohl meist über Firmen oder Verwandte, insofern ist das auch nicht überraschend. Die Recherche war also am Papier erfolglos, tatsächlich ist sie ein Türöffner für die Zukunft.
Künftig ist das Grundbuch für journalistische Recherchen prinzipiell und unter Kontrolle der Gerichte geöffnet. Doch es gibt noch einen zweiten Grund, warum die Entscheidung wichtig werden könnte.
Während wir nämlich auf unsere höchstgerichtliche Entscheidung warten, sperrt ein anderes Höchstgericht eine mindestens so wertvolle Datenbank für die Öffentlichkeit.
Wenn Sie noch nie vom WiEReg gehört haben, sind Sie vermutlich kein:e Eigentümer:in einer Briefkastenfirma. Das “Register der wirtschaftlichen Eigentümer” soll sicherstellen, dass auch bei sehr verschachtelten Firmenkonstruktionen alle immer wissen, wer am Ende dahinter steht. Das funktioniert nur so mittel, denn außerhalb der EU endet die Einsicht in die Schachtelkonstruktionen meist. Aber immerhin. Die EU verpflichtet ihre Mitgliedsstaaten in der Geldwäscherichtlinie, eine solche Datenbank zu führen. Mühsam für Firmeninhaber:innen, aber bedeutend für die Öffentlichkeit. Denn das WiEReg war zugänglich für die Öffentlichkeit. Alle Firmen und deren Eigentümer waren einsehbar.
Der EuGH hat dieses umfangreiche Einsichtsrecht nun gekippt. So wie nicht alle Daten geheim bleiben können, können auch nicht alle Daten uneingeschränkt öffentlich sein. Aber auch hier gibt es zwei sehr wichtig Wörter. Jene, die ein “berechtigtes Interesse” haben, so der EuGH, sollen auf die Daten zugreifen können. Raten Sie mal, woran wir nun arbeiten.
good work
Jeder kannn sich Journalist nennen.
“Ich bin Journalist bei der Spatzenpost, ich will Einsicht ins Grundbuch.”
Das ist falsch, das Gericht muss jeden Antrag prüfen.
Kommen mit den nun neu zugestandenen Rechten auch neue Pflichten auf die Journalisten und Journalistinnen zu?
Wie zum Beispiel eine Anzeigepflicht gegenüber der Justiz bei Erkennen eines Straftatbestandes?
Ich denke das mehr Rechte auch mit mehr Pflichten verbunden sein sollten.
Ich freue mich auf eine Antwort, und dieses schon länger.-;))
Sehr geehrter Herr Uthmann. Das ist gar kein neues Recht. Das Auskunftspflichtgesetz und die hier angesprochenen rechtlichen Regelungen gibt es bereits seit Jahrzenten. Nun gibt es nur erstmals Sprüche der Höchstgerichte dazu.
Also ergibt sich für Journalisten weiterhin keine Anzeigepflicht.